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Manche Legenden sind einfach nicht aus dem Bewusstsein der Menschen zu verdrängen. Das ist im realen Leben so (Stichwort: Homöopathie) – wie auch bei der Geldanlage. Zu den beliebtesten Anleger-Mythen zählt die vermeintliche Überlegenheit des so genannten Durchschnittskosten-Effekts, auch Cost-Average-Effekt genannt, gegenüber Einmalanlagen.

Der Cost-Average-Effekt entsteht dann, wenn Investoren regelmäßig einen festen Betrag in Aktien (direkt oder über Fonds) investieren. Da Kurse an der Börse schwanken, kaufen Anleger so unterschiedliche Mengen an Aktien oder Fondsanteilen. Wenn die Kurse hoch sind, kaufen sie nur wenige Anteile, wenn die Kurse niedrig sind, kaufen sie viele. Daraus entsteht der sogenannte Durchschnittskosten-Effekt. Er wird monatlich millionenfach durchexerziert, wenn Investoren Fondssparpläne bedienen.

So weit, so gut. Wenn wir Sparpläne bedienen, investieren wir schrittweise in den Aktienmarkt und bauen so im Idealfall nach fünf, zehn, vielleicht auch nach 20 Jahren ein ordentliches Vermögen auf. Das ist eine systematische Form des Vermögensaufbaus. Aber bedeutet das auch, dass Sparpläne die beste, effizienteste Form der Kapitalanlage sind?

Genau das behaupten Banken und viele andere Finanzvertriebe. In einem „Erklärstück“ hebt etwa sparkasse.de hervor, dass man mit dem Durchschnittskosten-Effekt „das Timing-Risiko“ verhindere. In einem Beispiel rechnet sparkasse.de vor, dass Anleger nach fünf Jahren mit einem Sparplan besser dastünden als mit einer Einmalanlage. Innerhalb der fünf Jahre schwankten die Kurse so, dass Anleger mit einem Sparplan am Ende besser dastanden als bei einer Einmalanlage. Derartige Beispiele findet man häufig.

Auch das Portal der Volksbanken, vr.de, wirbt mit dem Durchschnittskosteneffekt. Anleger kauften durch ratierliches Sparen günstig ein und begrenzten das Risiko, ihr Geld zum falschen Zeitpunkt anzulegen. Die Einmalanlage sei riskanter, so vr.de.

Für die ING sind Einmalanlagen offenbar etwas für Profis. „Eine Einmalanlage kann sich lohnen, wenn Sie sich gut in der Finanzwelt auskennen. Dafür müssen Sie zum richtigen Zeitpunkt, also bei sinkenden Kursen, Aktien erwerben“, heißt es auf ing.de. Dieses Timing sei „für Unerfahrene…möglicherweise ein Problem“.

Diese Darstellung der Vertriebs-Powerhäuser der deutschen Retail-Banken haben eines gemein: sie sind bestenfalls einseitig. Und weil sie unterschwellig das Timing einer Kapitalanlage zu einem entscheidenden Kriterium hochstilisieren, lenken sie Anleger aufs falsche Gleis.

Nicht nur die oben genannten Banken stellen einseitige Berechnungen an, um Anlegern Sparpläne schmackhaft zu machen. So gut wie alle Finanzvertriebe singen das hohe Lied des Sparplans. Sie wollen Anleger damit bei der Stange halten, und dafür sind ihnen irreführende Behauptungen nicht zu schade. Es ist an der Zeit, diese Mythen als das zu entlarven, was sie sind.

(Sparplan können eine gute Wahl sein, aber dann bitte aus den richtigen Gründen. Mehr dazu weiter unten.)

Zunächst eine grundsätzliche Feststellung: Eine Strategie, die einen scheibchenweisen Einstieg in den Aktienmarkt beinhaltet, muss zwingend strukturelle Nachteile gegenüber einer Einmalanlage haben. Das hängt damit zusammen, dass Aktien eine positive Renditeerwartung haben. Man spricht von der „Aktienprämie“ gegenüber festverzinslichen Anlagen und – erst recht – gegenüber Cash bzw. Sichteinlangen. Wer also Geld auf dem Konto hat und es nur ratenweise in den Aktienmarkt investiert, wird sein Kapital nur eingeschränkt für sich arbeiten lassen und nicht vollständig die Aktienprämie vereinnahmen können.

Wir alle haben schon einmal vom Zinseszinseffekt gehört. Wer ihn nur teilweise nutzt, kann nicht vollumfänglich von ihm profitieren. Eigentlich eine Binsenweisheit. Anders sieht das bei der Einmalanlage aus. Wer gleich zu Beginn seiner Investition das Kapital vollumfänglich für sich arbeiten lässt, entscheidet sich für die effizienteste Form der Langfristanlage. Im Gegensatz zum Sparplan-Investor schöpft er die Investitionsdauer voll aus.

Einfach formuliert: Wer sein Geld nicht am Aktienmarkt investiert, kann auch nicht die Bleibeprämien erwirtschaften, die dort zu holen ist.

Regelrecht ärgerlich ist, dass die meisten Finanzvertriebe diese elementare Konstellation schlichtweg ignorieren und stattdessen Anlegern einseitige Szenarien als typisch für die Situation am Kapitalmarkt weißmachen wollen. Sie nutzen damit leider die fehlende Finanzbildung weiter Teile der Öffentlichkeit aus. Um die Überlegenheit von Sparplänen gegenüber Einmalanlagen zu „beweisen“, gehen sie wie folgt vor: Mitmal der Anleger mit dem Sparplan loslegt, gibt der Aktienkurs nach oder stagniert. Kurz vor Ende der Anlagephase geht er dann deutlich nach oben.

Das ist allerdings nur ein mögliches Szenario: Man könnte genauso gut Szenarien herbeizitieren, bei denen es sich genau andersherum verhält: Nach Beginn des scheibchenweisen Einstiegs in den Markt steigen die Kurse an, und der Investor kauft immer weniger Anteile im Verlaufe seiner Investment-Periode. Ein noch schlimmeres Szenario: Der Sparplan-Investor kauft in steigende Märkte zu immer höheren Kursen ein, und gegen Ende der Investment-Phase krachen die Kurse nach unten.

All das ist in der Realität immer wieder passiert. Ich lege jedem Anleger den hervorragenden Aufsatz von Thomas Langer und Nils Nauhauser ans Herz, die nicht nur zahlreiche Beispiele für unterschiedliche Marktszenarien untersuchen, sondern – für deutsche Verhältnisse sehr früh – auch wissenschaftlich fundiert den Cost-Average-Effekt bereits 2002 entmythisiert haben.

Und es gibt noch schlechtere Nachrichten für Fans des Cost-Average-Effekts. Langfristig angelegte historische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Aktienkurse per Saldo viel häufiger gestiegen als gefallen sind, dass Einmalanlagen in den meisten Perioden bessere Ergebnisse als sukzessive Investitionen gezeitigt haben.

Das Researchhaus Morningstar hat die Performance von Einmalanlagen versus Sparplänen auf Basis historischer Daten zum US-Aktienmarkt gezogen. Der Zeitraum erstreckt sich von 1926 bis 2019. Für diese Zeit wurden Sparpläne über alle verfügbaren rollierenden Zeitperioden zwischen zwei und 120 Monaten Einmalinvestments gegenübergestellt. Beispielsweise existieren 1.115 Zehn-Monats Perioden in diesem Zeitraum. Für jede dieser Zehnmonats-Sparplan-Periode wurde eine entsprechende Einmalanlage gegenübergestellt. In gut 72 Prozent der Fälle erwies sich die Rendite von Einmalanlagen der Rendite der Sparpläne als überlegen.

Je länger der Zeithorizont der Anlage, desto besser schlugen sich Einmalanlagen. In der Morningstar-Untersuchung waren bei 120-Monatsperioden Sparpläne in weniger als zehn Prozent der Fälle einer Einmalanlage überlegen. Die untere Grafik illustriert diesen Punkt.

 

Outperformance von Sparplänen wird mit zunehmendem Zeitverlauf unwahrscheinlicher

Legende: Prozentsatz der Fälle, in denen Sparpläne besser performen als Einmalanlagen, USA-Aktien zwischen Januar 1926 und August 2019, Quelle: Morningstar

Die Erkenntnis, dass der Durchschnittskosteneffekt Anlegern historisch keinen Mehrwert gebracht hat und in sich auch nicht logisch schlüssig ist, ist übrigens keine neue Erkenntnis. Bereits 1992 kamen John Knight und Lewis Mandell auf Basis der Untersuchung historischer Renditen und Simulationen zum Schluss, dass Buy-and-Hold-Strategien zu besseren Ergebnissen führen als Cost-Averaging-Strategien. Erste Erkenntnisse gehen sogar auf die 1970-er Jahre zurück.

Angesichts dieses systematischen Nachteils bliebe nur eine theoretische Möglichkeit, die für die Cost-Average-Strategie sprechen könnte. Wenn Investoren davon ausgehen, dass eine längere volatile Aktienphase bevorsteht, könnten sie peu a peu investieren, einen guten Durchschnittspreis erzielen und dann von der sich anschließenden Hausse profitieren. Doch leider basiert auch diese scheinbar schlüssige These auf wackeligem Fundament: Die Richtung der Märkte ist nicht prognostizierbar. Es wird bekanntlich an der Börse nicht zum Ein- oder Ausstieg geklingelt. Die Prognostizierbarkeit von Aktienrenditen ist uns Anlegern schlicht nicht gegeben, nicht kurz-, nicht mittel- und erst recht nicht langfristig. „Niemand kann Aktienpreisentwicklungen systematisch korrekt vorhersagen“, lautet das Fazit einer Untersuchung der Uni Mannheim mit dem sprechenden Titel „Random Walk“.

Fazit: Sparpläne versus Einmalanlagen: Was bleibt?

Einmalanlagen sind dem scheibchenweisen Einstieg in den Markt überlegen. Punkt. Es ist deshalb höchst bedauerlich und auch ärgerlich, dass die meisten Banken und Finanzdienstleister Anlegern Sand in die Augen streuen und mittels Taschenspieler-Tricks vorgaukeln, es sei eine gute Idee, nur sporadisch am Aktienmarkt vertreten zu sein. Je länger die Kapitalbindungsdauer ist, desto höher ist die Chance auf auskömmliche Renditen. Die Gründe für diese fragwürdige Praxis ist recht einfach: Dem prinzipiell risikoscheuen deutschen Michel wird eine unterlegene Strategie empfohlen, die Sicherheit vorgegaukelt, die nicht nur keine ist, sondern ihm mit recht hoher Wahrscheinlichkeit suboptimale Renditen beschert. Anleger sollten, sofern sie einen dicken Batzen Geld haben, den sie investieren möchten, nicht zögern und einsteigen.

Das bedeutet nicht, dass Sparpläne Teufelszeugs sind. Im Gegenteil. Sie sind für die meisten Menschen der einzige Weg zum Aufbau eines Vermögens. Nur die wenigsten von uns werden reich geboren, und wer nun einmal leider keinen Batzen Geld auf dem Konto hat, wird nur aus seinem laufenden Cashflow (scheibchenweise) investieren können. Automatisierte Sparpläne haben auch den Vorteil, dass sie Anleger disziplinieren. Zudem sind die Anlagesummen so gering, dass es uns nicht den Schlaf raubt, wenn die Kurse an der Börse einbrechen.

Halten wir also fest, dass Sparpläne für viele Anleger die einzige Möglichkeit sind, Vermögen systematisch aufzubauen. Sie sind also eine absolut akzeptable Option. Allerdings nur die zweitbeste.

Über den Autor

Ali Masarwah ist seit Mai 2021 als Partner und Fondsanalyst bei der digitalen Plattform envestor.de tätig, wo er Anleger-orientiertes Research verfasst und bei der Weiterentwicklung von Tools und Investment-Lösungen für Privatanleger mitwirkt. Envestor.de ist eine auf Investmentfonds spezialisierte Vertriebsplattform, die Selbstentscheidern einen Großteil der laufenden Vertriebsgebühren von Fonds erstattet, was ihre Ertragschancen verbessert. Zuvor war Ali Masarwah zehn Jahre lang Mitglied im europäischen Research Team von Morningstar und zugleich als Chefredakteur für die Personal Finance-Websites von Morningstar Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Nach seinem Volontariat bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur ADX in Berlin leitete er von 2001 bis 2003 bei der Finanznachrichtenagentur vwd die Fondsredaktion. Von 2003 bis 2011 war er Redaktionsleiter beim portfolio Verlag in Frankfurt, wo er die journalistische Verantwortung für alle Magazine und Websites des Verlags innehatte.

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